zSwe – “El Pepe” (Tag 11, vermutlich)

Endlich…
Zum ersten Mal seit Beginn unserer Reise stehe ich am Morgen auf und habe keine Ahnung,
welcher Wochentag gerade ist.
Ja, es ist zeitlos geworden – wie sehr ich mich darauf gefreut habe.
Länger darüber nachdenken möchte ich auch gar nicht, es ist mir egal.
Die Rollo einen Spalt geöffnet, schon strömt unbarmherzig hell die Sonne zu mir durch –
es ist 7:15Uhr, ich stolpere den engen Weg ins Bad und nehme das Duschgel aus dem Kästchen.
Schließen lässt es sich leider nicht mehr – das Scharnier klemmt.
RUMO kennt also auch heute keine Gnade, ein wenig ärgere ich mich schon, aber was soll´s.
Ich gehe raus, frische Luft macht mich wach, dann die heiße Dusche.
Das Klimpern der Kaffeetassen weckt meine Frau, die Kids schlafen noch.
Wir machen das Frühstück, Wolken verdrängen die Sonne.
Die Kinder sind mittlerweile auch wach und wollen noch so viel Zeit wie möglich mit ihren Freunden verbringen.
Wir machen in der Zwischenzeit RUMO startklar, räumen Sesseln, Tisch, die SUP´s, Roller, Skateboard, Werkzeugkiste wieder weg.
Das Kasterl war nicht zu reparieren, so mußte umgeräumt werden und die Dusche dient jetzt als Stauraum.
“Flexibel” heißt das Wort der Stunde…

So starten wir gegen 11Uhr, verlassen Öland über die Brücke, jedoch nicht ohne einen Halt in einer nahen
Glasbläserei einzulegen. Leider wird hier nur noch verkauft, nicht aber hergestellt.
Ein kleines Mitbringsel für die Lieben zu Hause finden wir trotzdem, nächster Stop dann der Supermarkt –
dort wird noch schnell eingekauft, was fehlt, und ich kümmere mich um RUMO;
Die Dachluke wurde zwar versorgt und abgedichtet, trotzdem flattert es wie wild und wir sind nicht sicher,
ob die Tragetasche vom “Dänischen Bettenlager” die 200km bis nach Arneby gut übersteht.
Ich fixiere von Innen so gut ich kann und hoffe, dass alles dicht bleibt.

Dunkle Regenwolken haben die Sonne verdrängt, immer wieder regnet es, mal schwächer, mal stärker.
Hoffnungsvolle und leicht ängstliche Blicke wandern zwischen Beatrix und mir – aber jetzt heißt es:
Augen zu und durch….

Ein Stop bei einer Glasbläserei muß jedoch noch sein – schließlich sind wir im “Glasreich”.
Und hier sind wir nicht nur im Schauraum, sondern auch in der Werkstatt gerne gesehen.
Einige wenige Touristen sind da, stellen Fragen, sehen zu, sind aufgeregt.
Ich stehe ein wenig Abseits, die Kinder sind am nahen Spielplatz, Beatrix hat bereits an meinem Blick gesehen,
dass ich jetzt “in meiner Welt” bin.

Carlos, der Glasbläser.
Wir sehen uns in die Augen und die Verbindung ist da.
Er arbeitet ruhig weiter, stellt fertig, was zu machen ist, antwortet ruhig und erklärt.
Und als dann alle weg sind, nach wenigen Minuten, wendet er sich mir zu.
Zeigt mir sein “Werk”, strahlt über beide Ohren:” She´s so pretty, ins´t she?”
Ja, ist sie. Ganz wunderbar.
Behutsam versorgt er sein Kunstwerk und beginnt zu reden.
Aus Uruguay gegangen im Jahr 1976, seither in Schweden und immer wieder zu Besuch in der Heimat.
69Jahre ist er jetzt alt, und strahlt immer noch, wenn er von zu Hause erzählt,
von seinem Land, und von “El Pepe”, dem armen Präsidenten.
Ob ich ihn kenne?
Kopfschütteln…er beginnt wieder zu erzählen.

José Mujica, “El Pepe”, war in einer Guerillabewegung, ein Aufständischer, ein Anführer.
Er und 8 seiner Mitstreiter wurden gefangen genommen, wochenlang gefoltert,
in Erdlöcher gesperrt, Einzelhaft, immer und immer wieder.
Aber das hat ihn nicht gebrochen – er ist zurückgekommen, erst 1985 wurde er aus der Haft entlassen.
Dann begann seine politische Karriere, und 2009 wurde er Präsident von Uruguay.
Er verzichtete auf 90% seines Präsidentengehaltes, blieb auf seinem Bauernhof in der Nähe von Montevideo,
fuhr weiterhin seinen VW Käfer.
Mehr brauchte er nicht, um Präsident zu sein, und er war der beste Präsident, den Uruguay jemals hatte –
so zumindest erzählt es Carlos, nicht ohne feuchte Augen dabei zu bekommen.

Wir sehen uns an – nur wenige Minuten hat er mir erzählt, von seiner Liebe zu seinem Land,
von einem Menschen, den er bewundert; ein wenig über sich selbst.
Viele Geschichten hätte er noch zu erzählen, soviel ist gewiß.
Sekundenlange sehen wir uns in die Augen, dann reichen wir uns die Hand.
Ein fester Händedruck, ein “Thank you” von ihm, eines von mir.

Es sind diese Augenblicke, die ich immer wieder Suche, wenn wir auf Reise gehen.
Die Menschen und ihre Geschichten – diese Zeit muß sein.
Manchmal reichen schon wenige Minuten, manchmal sind Stunden nicht genug.

Carlos drückt mir noch seine Visitenkarte mit seiner Privatadresse in die Hand,
“You´re welcome, my friend!”
Dann dreht er sich weg und ich verlasse die Werkstatt.

Die Fahrt ist wenig spektakulär – die Landschaft kein “Reißer”.
Ich bin trotzdem überwältigt.
Ständig bewegt man sich im Wald, mir kommt vor, 140km lange verlassen wir ihn gar nicht.
Die Straße schlängelt sich gemächlich dahin, keine Kurve kommt überraschend oder hat einen engen Radius.
Wozu auch, das Land ist so weit, da macht es keinen Sinn, abrupte Richtungswechsel vorzunehmen.
Es geht auf und ab, sanfte Hügellandschaften, immer wieder das blaue Aufblitzen der unzähligen Seen,
die sich hinter den Bäumen verstecken.
Schade, dass man sie zu selten zu Gesicht bekommt.

Der Geräuschpegel im RUMO hat sich eingependelt, ich bin froh, dass die Tasche auf RUMO´s Dach noch flattert,
somit ist sie noch dort, wo sie hingehört.
Am Campingplatz angekommen haben wir nicht nur den Standplatz neben unseren deutschen Freunden,
sondern auch einen direkt am See.
Unglaublich schön ist es hier, so ruhig und still.

Und jetzt sitze ich hier, kurz vor Mitternacht, lasse den Tag revue passieren.
Wetterleuchten und Donnergrollen in der Ferne.
Das Dach wurde heute nochmals repariert, beinahe 2 Rollen Gaffa-Tape sollten jetzt für Ruhe sorgen.
Die 200km hat die Tragetasche ausgehalten, viel mehr hätte es aber nicht sein dürfen.
Das ewige Flattern hat einige Risse verursacht, eine knappe Stunde reparieren und 2 Lagen Gaffa auf etwa 50x50cm sollten jetzt (hoffentlich) ausreichen.

Alles schläft, einsam leuchtet die Kerze und Vivaldis “4 Jahreszeiten” gehen in die zweite Runde –
Zeit, es für heute gut sein zu lassen.

Stay tuned – Wochenrückblick kommt bald!

 

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